31. August 2011

Goethes Geologische Betrachtungen

"Er sondere sorgfältig aus, was er gesehen hat, von dem, was er vermutet oder schließt. Jede richtig aufgezeichnete Bemerkung ist unschätzbar für den Nachfolger, indem sie ihm von entfernten Dingen anschauende Begriffe gibt, die Summe seiner eigenen Erfahrung vermehrt und aus mehreren Menschen endlich ein gleichsam ein Ganzes macht."
Johann Wolfgang von Goethe in einem Brief an Herzog Ernst II, 1780.

Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) - ist heute als der deutsche Autor und Dichter bekannt, nebenher betätigte er sich aber auch als Anwalt, Politiker, Künstler und als begeisterter Naturwissenschaften. Besonders die Geologie und Paläontologie hatte es ihm angetan, und zeitlebens untersuchte er verschiedene geologische und paläontologische Phänomene.
Eines dieser Phänomene lag genau vor seiner Haustür, oder besser gesagt, unter ihr.
Im Jahre 1775, Goethe war bereits ein hoch angesehener Autor, wurde er nach Weimar auf den Hof des Herzogs Carl August eingeladen und die Stelle des Minister für Berg- und Wegebau angeboten. Der Herzog wird ein guter Freund Goethes werden und ihn zeitlebens in seinen naturwissenschaftlichen Studien fördern.

"Ich kam höchst unwissend in allen Naturstudien nach Weimar, und erst das Bedürfnis, dem Herzog bei mancherlei Unternehmungen, Bauten, Anlagen praktische Ratschläge geben zu können, trieb mich zum Studium der Natur."

Goethe wurde bald darauf vom Sammelfieber gepackt, in den Jahren 1780 bis 1832 sammelte, tauschte und kaufte er mehr als 18.000 mineralogische, paläontologische und geologische Kuriositäten - allein die Fossilien umfassen 718 Exemplare.
Besonders interessant in dieser Sammlung sind an die 100 Proben die er in quartären Travertinen aus der Umgebung von Weimar sammelte. Der Untergrund von Weimar besteht aus mesozoischen Kalksteinen, das durchsickernde Grundwasser ist daher stark an Calciumkarbonat übersättigt. An Quellen und Rinnsälen fällt der Kalk in Form von Travertin aus, der auch heute noch organische Reste mit einer Hülle aus Kalkkristallen umschließt. In den Warmzeiten der letzen glazialen Periode war die Kalkausfällung sogar noch stärker als heute.
Die Ehringsdorf- Formation, wie der Travertin nach einem kleinen Dorf nahe dem Stadtzentrum von Weimar geologisch benannt wurde, ist reich an Pflanzenabdrücken und besonders an Fossilien von großen Säugern, die im Travertin versiegelt wurden und teilweise noch in der Originalsubstanz erhalten geblieben sind.

Zu den bemerkenswertesten Fossilien aus der Ehringsdorf-Formation gehören Fragmente von Stoß- und Backenzähnen des zwischeneiszeitlichen Waldelefanten Palaeloxodon antiquus, Fragmente des Kiefers und Zähne des Wollnashorns Dicerorhinus kirchbergensis, Knochen und Zähne des Eiszeitbisons Bison priscus, Knochen einer Pferdeart (Equus taubachensis), Knochen der Braunbär (Ursus arctos), Knochen- und Geweihfragmente von Rotwild (Cervus elaphus) und ein "versteinertes Ei" eines Kranichs (Grus grus).

Goethe beschäftigte sich mit der Idee seine geologische und paläontologische Beobachtungen der Fossilien von Weimar zu veröffentlichen und kontaktierte am 8., Januar 1819 den Geologe Carl Caesar von Leonhard (1779-1862), Herausgeber der bedeutenden Fachzeitschrift "Leonhards Taschenbuch für Geologie und Mineralogie":

"So haben wir ganz nahe bei Weimar treffliche fossile Knochen neuerdings entdeckt: eine halbe Oberkinnlade mit Zähnen, ganz dem Paläotherium ähnlich, mit Resten von Elephanten, Hirschen, Pferden und was sich sonst zusammen zu halten pflegte."

Abb.1. Kieferknochen und Zahn eines Rothirsches (Cervus elaphus) aus der Sammlung Goethes. Teile der Sammlung sind heute in der "Parkhöhle" (ein Stollensystem das ab 1795 angelegt wurde, und in den folgenden Jahrhunderten als Steinbruch, Lagerraum, Brauerei, Luftschutzkeller und Museum verwendet wurde), im Park an der Ilm, ausgestellt.

Abb.2. Kieferknochen und Zahn von Stephanorhinus (Dicerorhinus) kirchbergensis. Die alten Etiketten zu den Sammlungsstücken stammen teilweise aus der Hand von Goethes Sohn August.

Abb.3. Equus sp. - Zähne.

Doch aufgrund seiner politischen Ämter und anstehenden Aufgaben wurde der geplante Artikel nie fertig gestellt.
Einige Jahre später, im Jahre 1821, setzte sich der Amateur-Geologe Christien Kieferstein (1784 -1866) mit Goethe in Kontakt und bat ihn um Informationen über die Aufschlüsse in der Stadt Weimar.
Seltsamerweise war Goethe nicht in der Lage - oder vielleicht auch nicht bereit - diese Informationen sofort zu senden. Erst zwei Jahre später und nach Rücksprache mit seinem Sohn August Goethe erhielt Kieferstein endlich eine stratigraphische Beschreibung und einige Proben des Travertins von Weimar.
August Goethe hatte die "Tuffstein-Höhlen an der Stadtgrenze" während des 8. und 11. August 1823 besucht, Proben gesammelt und noch am selben Tag die Notizen zu Kieferstein verschickt. Im September wurde August von seinem Vater begleitet und gemeinsam nahmen sie in einem Steinbruch ein stratigraphisches Profil auf. 

Es wird nun bald die Zeit kommen, wo man Versteinerung nicht mehr durcheinanderwerfen wird.
August plante alle diese Beobachtungen zu veröffentlichen, leider verhinderte sein frühen Tod im Jahre 1830 diese Absicht.

Die handschriftliche Notizen und Skizzen sind jedoch bis heute erhalten und werden im Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar aufbewahrt. Die Bemerkungen der Goethes des 19. Jahrhunderts waren so genau, dass sie im 20. Jahrhundert zur Korrelation ehemaliger Steinbrüche und moderne Bohrungen herangezogen wurden.
Abb.4 Stratigraphisches Profils eines Steinbruchs "ohngefähr 10 Minuten südlich von Weimar und rechts des Chaussees nach Belvedere", nachgezeichnet von STEINER 1996 nach GOETHE & GOETHE 1823: Beschriftung nach den ursprünglichen Bemerkungen von Goethe: 01. Nummerierung der Schichten 02. Pflanzenreste 03. Mollusken und Säugetiere im Travertin 04. Kompakte Travertin-Schichten 05. Spröde Travertin-Schichten 06. Armleuchteralgen- und Moos-Travertin 07. Großsäugerknochen 08. Molluskenreste 09. Pflanzenstängel 10. Silt 11. Sand 12. Solifluktions- Horizonte mit Kieselsteinen 13. Aktueller Boden.

Abb.5 Die allgemeine Stratigraphie der Ehringsdorf-Formation nach modernen Kriterien in einem rezenten Steinbruch aufgenommen:
Über eine Abfolge von Konglomeraten mit kristallinen und karbonatischen Komponenten (glaziale Sedimente der letzten Eiszeit) folgen bräunlich bis gelbliche geschichtete Sand- und Siltablagerungen eines Schwemmfächers der Paläo-Ilm. Darüber folgt der "untere Travertin", eine Abfolge von kompakten und unverfestigten Bänken aus Travertin. Der "unter Travertin" wird vom "oberen Travertin" durch den so genannten "Pariser" getrennt. Der eigentümliche Name dieser braunen Lehmschicht leitet sich von der Beschreibung der Ablagerung durch den Botaniker Dr. Herbst 1860 als "Poröser Kalktuff" ab (der Pariser bildet auch die Abbau/Felsstufe im Steinbruch). Der obere Travertin ist vergleichbar mit dem unteren, unterscheidet sich aber an seiner leicht gräuliche Farbe und das Vorhandensein verschiedener fossiler Bodenhorizonte (einer davon der Pariser). Als Ablagerungsraum wird ein Auenwald angenommen, in dem kalkhaltige Wässer aus dem Boden sickerten und den Travertin ablagerten.


Abb.6. Auch heute noch ist es nicht ungewöhnlich Knochenfragment in der Ehringsdorf-Formation zu entdecken.

Literatur:

ENGELHARDT, W.v. (2003): Goethe im Gespräch mit der Erde. Landschaft, Gesteine, Mineralien und Erdgeschichte in seinem Leben und Werk. Hermann Böhlaus Verlag, Weimar: 375
STEINER, W. (1996): Die Parkhöhle von Weimar. Abwasserstollen, Luftschutzkeller, Untertagemuseum. Stiftung Weimarer Klassik: 62