20. Oktober 2011

Auf den Spuren der Spurenkunde

Zusammenfassung des Artikels auf Scientific American
"On the Track of Ichnology"

"Allerdings hat Barrymore bei der Untersuchung eine falsche Behauptung aufgestellt. Er sagte, um den Leichnam herum habe es keine anderen Abdrücke gegeben. Er habe jedenfalls keine gesehen. Aber ich habe welche bemerkt - etwas entfernt, doch frisch und deutlich zu erkennen."
"Fußspuren?"
"Fußspuren."
"Von einem Mann oder einer Frau?"
Dr. Mortimer schaute uns einen Moment merkwürdig an und seine Stimme wurde fast zu einem Flüstern, als er antwortete:
"Mr. Holmes, es waren die Abdrücke eines riesengroßen Hundes!
"
"Der Hund der Baskervilles"; Arthur Conan Doyle 1901

Ichnologie - die Spurenkunde - gilt als relativ junger Zweig der Geowissenschaften, da die erste (nach heutigen Kriterien) wissenschaftliche Publikation über Wirbeltierspuren aus Permischen Sandstein-Formationen erst 1831 veröffentlicht wurde. Allerdings haben bereits alte Legenden oft Spuren als die Ergebnisse einer Bewegung oder des Verhaltens eines Organismus erkannt, auch wenn letztendlich die Verursacher als mythische Wesen -Riesen oder Sündflut-Vögel - identifiziert wurden. Ichnologie untersucht die Spuren und Zeichen die Organismen in ihrer Umwelt hinterlassen, die bekanntesten sind Trittsiegel und Fußspuren, aber auch Bohrgänge, Nester, Grabbauten, Abdrücke, Spuren von Pflanzenwurzeln, Exkremente und menschliche Artefakte können dazu gezählt werden.

 
Abb.1. Isochirotherium infernii - fossiler Fußabdruck. Die Zuordnung einer Ichno-art zu einer realen Art ist schwierig, nur in seltenen Fällen sind nämlich Verursacher und Spur zusammen erhalten. Allerdings kann man durch anatomische Studien der fossilen Reste aus denselben Gesteinsformationen auf eine mögliche Verbindung schließen. Chirotherium wird mit frühen Vertretern der Archosauria in Verbindung gebracht.

Ichnofossilien wurden bereits im Altertum als etwas Außerordentliches anerkannt, die frühesten naturwissenschaftlichen Deutungen stammen allerdings aus dem 15 Jahrhundert.
Das Universalgenie Leonardo da Vinci (1452-1519) war sehr an Geologie interessiert und erkannte auch die organische Natur von Fossilien. Die Gebiete um die italienische Po-Ebene sind reich an Aufschlüssen mit mesozoischen und känozoischen Sedimente, die neben gewöhnlichen Fossilien auch zahlreiche Spurenfossilien enthalten.

Abb.2. Chondriten aus der "Marne a Fucoidi" -Formation (Mergel der Oberkreide), Fundort Bottaccione-Schlucht nahe der Stadt Gubbio, Umbrien.

"In den Bergen rund um Parma und Piacenza, noch im Gestein steckend, werden zahlreiche Schalen und Korallen entdeckt, die voller Bohrgänge sind. Wenn ich in Mailand ...[]...arbeitet brachten gewisse Bauern ganze Säcke zu mir in die Werkstatt."

Leonardo erkannte dass Spuren auf den einzelnen Schichtflächen beweißen, dass es sich um ehemalige Oberflächen eines Sandstrandes handelt

"... zwischen der einen und anderen Gesteinsschicht sind [zu finden] die Spuren von Würmern, welche in ihnen krochen als sie noch nicht trocken waren"

Leider vertraute Leonardo all diese Beobachtungen und Spekulationen nur seinen geheimen Notizbüchern an, in der Geschichte und Entwicklung der modernen Geologie spielt er daher eigentlich keine Rolle.
Aber es waren auch gefährliche Zeiten, der italienische Naturforscher Ulisse Aldrovandi (1522-1605) verbrachte seine letzten Lebensjahre in Hausarrest, auch aufgrund seiner wissenschaftlichen Studien.
Wie da Vinci war Aldrovandi ein Sohn der Renaissance: Er studierte Jura und Philosophie, zeigte sich aber auch an Zoologie, Botanik, Medizin und Geologie interessiert.
In einer seiner wichtigsten naturwissenschaftlicher Arbeiten - das "Musaeum Metallicum" veröffentlicht im Jahre 1648 - beschreibt er, klassifiziert und zeichnet hunderte von "fossilia", ein Begriff der alle Gegenstände die aus der Erde ausgegraben wurden umfasst: Gesteine, Böden, fossile Harze, Mineralien und Spurenfossilien - und nebenbei auch einige Monster und andere Kuriositäten.
Aldrovandi vergleicht auch einige Fossilien mit anatomischen Teilen oder Spuren von modernen Tierarten, bei anderen "fossilia" bevorzugt er dann doch die Erklärung einer inorganischen Genese - Fossilien im moderne Sinn, als versteinerte Organismenreste, werden erst 300 Jahre später allgemein akzeptiert sein.

Abb.3. Abbildung von "fossilia" aus Aldrovandi´s "Musaeum Metallicum" (1648), die obere bezeichnete er als "Silicem dactylitem", in Anlehnung an die modernen Bohrgänge von Pholas dactylus, eine am Mittelmeer verbreitete Art von Muschel die in selbst gegrabene Hohlräumen im Kalkgestein lebt. Aldrovandi stellt klar eine Verbindung von den fossilen Bohrgängen zu der modernen Aktivität von grabenden Organismen auf.
Die untere "fossilia" bleibt dagegen ein Rätsel, Aldrovandi beschreibt sie als Schlangenstein, bleibt aber ein Erklärung schuldig. Die fabelhafte, realistische Darstellung lässt vermuten dass es sich um Grabgänge von einem wurmartigen Organismus (oder zumindest ein wirbelloses Tier) handelt (Cosmorhaphe).

Abb.4. Spurenfossilien in Sandsteinen der Gröden-Formation (Dolomiten).

Aldrovandi´s Spekulationen sind nicht immer richtig: Bei manchen Objekten ist er völlig ratlos um was es sich handeln könnte, manchmal  vermutet er bei Mineralien eine organische Bildung, er beschreibt Steine mit menschlichen Gesichtern und sogar versteinerte Katzen. Dies mindert aber nicht seine Bemühungen Ordnung in das anscheinende Chaos von Fossilien, Mineralien und Gesteine zu bringen - begrenzt  in seier Forschung durch das Wissen und die Möglichkeiten seines Zeitalters, besteht doch kaum Zweifel dass Aldrovandi seiner Zeit um Jahrhunderte voraus war.

Literatur:

BAUCON, A. (2008): Italy, the Cradle of Ichnology: the legacy of Aldrovandi and Leonardo. Studi Trent. Sci. Nat., Acta Geol., 83: 15-29
BAUCON, A. (2009): Ulisse Aldrovandi (1522-1605): The Study of Trace Fossils During the Renaissance. Ichnos, 16: 4, 245 – 256
BAUCON, A.. (2010): Leonardo da Vinci, the founding father of Ichnology. PALAIOS 25: 361-367
LEONARDI, G. (2008): Vertebrate ichnology in Italy. Studi Trent. Sci. Nat., Acta Geol., 83 (2008): 213-221
LOCKLEY, M. &  MEYER, C. (2000): Dinosaur Tracks and other fossil footprints of Europe. Columbia University Press: 323
MAYOR, A. & SARJEANT, W.A.S. (2001): The Folklore of Footprints in Stone: from Classical Antiquity to the Present. Ichnos 8(2): 143-163
WAGNER, E.J. (2006): The Science of Sherlock Holmes – From Baskerville Hall to the Valley of Fear, the Real Forensics Behind the Great Detective’s Greatest Cases. John Wiley & Sons: 244