13. November 2011

Die Katastrophe von Armero

Zusammenfassung des ursprünglichen Artikels von Scientific American
"13. November 1985: Der Nevado del Ruiz Lahare"

Am Nachmittag des 13. November 1985 verstärkte sich die explosive Tätigkeit des Vulkans Nevado del Ruiz (5.389m), in 48 Kilometer Entfernung zur Stadt Armero (Kolumbien), aber abgesehen von leichten Aschregen erschien die Aktivität nicht besorgniserregend. 
Gegen Abend hin gingen die meisten der 25.000 Einwohner schlafen, auch wenn die entfernten Geräusche nun doch etwas besorgniserregend wurden. 
Um 23:00 überraschte ein plötzliches Getöse, von Überlebenden mit einem Schrei  beschrieben, und Beben die Einwohner von Armero. Eine Mischung aus Wasser, Schlamm und Schutt überschüttete die gesamte Stadt, gefolgt  von 3 bis 4 einzelne Wellen die von Augenzeugen zunächst als "kalter Schlamm", gefolgt von "kochendem Schlamm" , beschrieben wurden - die Schlammströme forderten 22.000 Opfer.
Der relativ kleine Ausbruch hatte Teile der Gletscher, die den Nevado del Ruiz bedecken, geschmolzen. Das Schmelzwasser hatte sich mit vulkanischem Material vermischt und Lahare gebildet, die den Flusstälern an den Hängen des Vulkans folgend bis in bewohnte Gebiete vorgedrungen waren.

Abb.1. Die Gefahrenkarte für Lahare in der Umgebung des Nevado del Ruiz veröffentlichte vor der Katastrophe (oben), und Karte mit der beobachteten Verwüstung nach der Katastrophe.

Nach der Katastrophe begann eine intensive Debatte über die Verantwortung der Behörden. Die Gefahrenkarte (eine der ersten in Kolumbien) war zum Teil ignoriert worden, zum Teil falsch in den Medien dargestellt worden.
Die vulkanische Aktivität hatte bereits 1984 begonnen, und besonders im September 1985 zugenommen. Armero steht auf Lahar-Ablagerungen eines Ausbruchs von 1845, bei dieser Eruption waren 1.000 Personen umgekommen.
Erst nach der Katastrophe beschloss die Regierung von Kolumbien ein Programm für die Überwachung von Vulkanen ins Leben zu rufen, um ähnliche Katastrophen in Zukunft zu verhindern.

Literatur:

DECKER, R. & Decker, B. (1991): Mountains of Fire: The Nature of Volcanoes. Cambridge University Press. Cambridge: 243

12. November 2011

Tsunamite

Spätestens nach der Weihnachts-Katastrophe 2004 ist das Interesse an Ablagerungen die durch Tsunami(s) entstehen enorm gewachsen - das Erkennen von Paleo-Tsunamis ermöglicht es nämlich gefährdete Bereiche abzuschätzen und eventuell eine Statistik über die Wiederkehrwahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses aufzustellen.
 

Verschiedene Ansätze haben sich mit der Korngrößenverteilung von Sedimenten beschäftigt, um Tsunami-Ablagerungen, so genannte Tsunamite, von gewöhnlicher Hintergrundsedimentation an Küsten zu unterscheiden. Generell sind Tsunami-Ablagerungen grobkörniger und normal gradiert, Strand-Ablagerungen dagegen sind feinkörniger und weisen keine charakteristische Abfolge auf. Tsunamite müssen nicht mächtig sein - der Tsunami von 2004 lagerte eine nur 0,8 bis max. 4 m dicke Schicht ab. 
Der Kontakt zu früheren Ablagerungen (zumeist Böden des Landesinneren) ist eine erosive Diskordanz, an der Basis einer Tsunami-Schicht können daher auch Intraklasten, die vom Untergrund herausgerissen wurden, auftreten.  Kornverteilung in der gesamten Abfolge ist meistens chaotisch, von riesigen Blöcken über Sand bis hin zu Feinschlamm, generell nimmt jedoch die mittlere Korngröße in der stratigraphischen Abfolge nach oben hin ab.

 Abb.1. Generelles Schema einer Tsunami-Stratigraphie.

Aufgrund der Verteilung der Korngrößen innerhalb rezenter Tsunamite wurden die Ablagerungsbedingungen innerhalb eines Tsunamis rekonstruiert: zunächst transportieren starke Grundströmungen rollend grobkörniges Material, darauf folgen normal gradierte Feinsedimente, von schwächeren Strömungen bzw. Stillwasser abgelagert. Diese Abfolge kann mehrfach auftreten, je nach Anzahl und Stärke aufeinanderfolgenden Tsunami-Wellen. Ein Großteil der Sedimente wird in Suspension transportiert, daher fallen die feinen Partikel bei nachlassender Strömung und geringeren Turbulenzen aus - hier gleichen die Tsunami-Ablagerungen normal abgelagerten Stillwassersedimenten.
Die Dicke und mittlere Korngröße von Tsunami-Schichten nimmt generell landeinwärts hin ab, allerdings können topographische Faktoren die Verteilung beeinflussen, so sind auch Tsunamite bekannt bei denen die Korngröße ins Landesinnere hin zunimmt.

Literatur:

DAWSON, A.G. & STEWART, I. (2007): Tsunami deposits in the geological record. Sedimentary Geology 200: 166-183
GOFF-CHAGUE, C.; SCHNEIDER, J.-L.; GOFF, J.R.; DOMINEY-HOWES, D & STROTZ, L. (2011): Expanding the proxy toolkit to help identify past events - Lessons from the 2004 Indian Ocean Tsunami and the 2009 South Pacific Tsunami. Earth-Science Reviews 107: 107-122
PETERS, R. & JAFFE, B. (2010): Identification of Tsunami Deposits in the Geologic Record: Developing Criteria Using Recent Tsunami Deposits. USGS, Reston, Virginia: 39
SHIKI, T.; TSUJI, Y.; YAMAZAKI, T. & MINOURA, K. (2008): Tsunamiites Features and Implications. Elsevier: 426

8. November 2011

Der Donnerstein von Ensisheim

"Bey einem solchen Zusammensturz werden sich nach allgemeinen Naturgesetzen folgende Phänomene ereignen: Trüber Himmel ist das erste, dann Regen, Hochgewitter und Orkane; die Seen und Flüsse treten endlich aus den Ufern, das Meer geht von Osten nach Westen über die niedrigsten Küstenländer und dann später auch über die höchsten Erdrücken hinweg…[] Fällt er auf die südliche Erdhälfte, so haben wir Orkane, Erdbeben und wegen der Wasserverteilung zuletzt Überschwemmungen über die höchsten Berge; fällt er in die nördliche, so sehen wir nichts davon, denn wir sind dann schon lange todt, weil sich die Wasser beyder Weltkörper zuerst berühren und bey uns zu mehr als tausend Meilen aufthürmen…[]
Gänzlicher Untergang aller auf dem Lande lebender Wesen wird die Folge seyn und wenn sich nach Jahrtausenden einst das Meerwasser in dem Äther verloren hat, werden auch neue Thierarten auf dem Lande zu leben häufige Versuche gemacht haben, wovon ihnen ohne Zweifel nach Jahrtausenden mehrere gelungen seyn werden.
"
Franz von Paula Gruithuisen (1774-1852) "Ueber die Natur der Kometen..." (1811)

Am 7. November 1492, um 11.30 geschah ungeheuerliches nahe der Stadt Ensisheim im heutigen Elsass. Am Himmel war ein "Blitz und lang anhaltendes Donnern" zu hören und bald darauf wurde in einem Weizenfeld ein Stein in einem "halben Menschenlänge" tiefen Loch entdeckt. Mit Hilfe einiger starker Männer und eines Ochsenkarrens wurde der Stein in einer feierlichen Prozession in die Stadt gebracht.

Abb.1. In einem zeitgenössischen Bild aus der “Schweizer Bilderchronik des Luzerners“, von Diebold Schilling  (1512), wird der seltsame Vorfall von Ensisheim ausführlich dargestellt und beschrieben.

Der österreichische Kaiser Maximilian I der in der Stadt weilte ordnete an den Stein in der örtlichen Kirche zu verwahren. Dies schien notwendig, da solch seltsame, vom Himmel gefallene Steine als gefährliche Vorboten des Krieges, der Pest und der Hungersnot angesehen wurden. Nur indem man den Stein in Ketten auf heiligen Boden verwahrte konnte der böse Bann gebrochen werden. Allerdings verhinderte der vermeintliche Fluch nicht das der Kaiser und andere Personen Stücke als Souvenir vom Stein abschlagen ließen. 
Der 127 Kilogramm schwere Stein wurde rasch als "Donnerstein von Ensisheim" bekannt und die Nachricht wurde mittels Flugblätter in ganz Europa verbreitet. In einem der ersten Broschüren betont der Humanist Johann Bergmann von Olpe dass in den vorherigen Jahren bereits viele seltsame Erscheinungen am Himmel beobachtet wurden, keine aber seltsamer als dieser Stein, dessen Donner angeblich über ganz Europa gehört wurde.
Der Donnerstein von Ensisheim ist heute einer der ältesten beschriebenen Meteoritenfälle von denen Material noch erhalten ist. Viele Meteoriten, vor allem wenn sie aus Eisen bestanden, wurden als Rohmaterial verwendet, oder im Laufe der Zeit zerstückelt um Kuriositätenkabinetten zu zieren oder gingen einfach verloren. Die Herkunft der Steine vom Himmel oder genauer gesagt aus dem All wurde erst im späten 18. Jahrhundert wissenschaftlich beschrieben. In 1794 publiziert der Deutsche Arzt und Anwalt Ernst Friedrich Chladni (1756-1827) eine umfangreiche Sammlung von Augenzeugenberichte und geologisch-petrologischen Untersuchungen unter dem Titel "Über den Ursprung der von Pallas gefundenen und anderer ihr ähnlicher Eisenmassen, und über einige damit in Verbindung stehende Naturerscheinungen".

Literatur:

BÜHLER, R.W. (1992): Meteorite – Urmaterie aus dem interplanetaren Raum. Weltbild Verlag:, Augsburg: 192

1. November 2011

Das Erdbeben von Lissabon

Zusammenfassung des Artikels auf Scientific American
"November 1, 1755: The Earthquake of Lisbon: Wrath of God or Natural Disaster?"

Am 1. November 1755 - Allerheiligen - bereitete sich die portugiesische Hafenstadt und Hauptstadt Lissabon auf einen sonnigen und feierlichen Tag vor.
Um 9:40  begann eine Folge von drei Erdbeben die insgesamt 6 bis 10 Minuten dauern sollte. Die Einwohner flüchteten in Panik aus den engen Gassen und vor den herabstürzenden Trümmern in Richtung Regierungsviertel und Hafen, wo große offene Plätze Sicherheit versprachen. Aber vierzig Minuten nach dem ersten Erdbeben rollte eine bis zu 14 Meter hohe Flutwelle auf die Kaianlagen und dem Flusslauf des Tejo hinauf - tausende Menschen wurden von der Flut fortgerissen. Nach dem Beben und der Flut brach Feuer in der Stadt aus - die Brände wüteten für Tage - am Ende waren dreiviertel der Gebäude der Stadt dem Erdboden gleichgemacht.
Die Auswirkungen des Erbebens, in Form von Erschütterungen,waren beinahe in ganz Nordeuropa  spürbar, die Tsunami-Welle erreichte sogar die Küsten der karibischen Inseln.


Dokumentation "Wilder Planet - Gefahr für Lissabon" (12.07.2009)


Die Zerstörung des erzkonservativen Lissabon hatte weitreichende Folgen für die Theologie und Philosophie des ausklingenden 18 Jahrhunderts. Wie konnte Gott die Zerstörung und so großes Leid zulassen?
Viele Naturphilosophen hatten bereits seit dem Altertum Erdbeben als natürliche Erscheinungen angesehen - Auswirkungen von Luftzirkulation in der Kruste der Erde, elektrische Entladungen oder Explosionen von brennbaren Gasen - oder zumindest als Wirkungen eines Gottes der mittels Naturgesetze die Welt beeinflusste.
Aber erst mit der Verbreitung der Neuigkeiten aus Lissabon wurde die Diskussion, ob Erdbeben Erscheinungen die mittels Naturgesetze beschrieben und erklärt werden können, in eine breitere Öffentlichkeit getragen.

"Wir akzeptieren Schießpulver, Feuer und Gift als gewöhnliche Gefahren des Lebens, und wir glauben nicht, dass uns diese Dinge auf übernatürlichen Befehl ereilen, als Strafe für unsere Sünden. Nur wenn es sich um Erdbeben handelt, dann rutschen wir zurück in die Panik unserer primitiven Ängste. Wir müssen nun versuchen, uns anzugewöhnen, an Erdbeben zu denken, wie wir an Stürme denken, und zu erkennen, dass sie wirklich sehr normale Ereignisse sind…[]"
Antonio Nunes Ribeiro Sanches (1699-1783), portugiesischer Arzt und Intellektueller

Literatur:

KÖLBL-EBERT, M. (2005): Lissabon 1755 – Anatomie einer Erderschütterung. Archaeopteryx – Jahreszeitschrift der Freunde des Jura-Museums Eichstätt 23: 83-98
KOZAK, J. & CERMAK, V. (2010): The Illustrated History of Natural Disasters. Springer-Verlag: 203
UDIAS, A. (2009): Earthquakes as God’s punishment in 17th- and 18th-century Spain. In KÖLBL-EBERT, M. (ed.) Geology and Religion: A History of Harmony and Hostility. The Geological Society, London, Special Publications, 310: 41-48
WALKER, B. (1982): Earthquake – Planet Earth. Time Life Books: 154