24. März 2012

Von Faltenbau und Deckeneinheiten: Die Entdeckung der Tektonik in den Alpen

Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die ersten startigraphischen Tabellen und Profile erstellt, hauptsächlich in Ländern wie England, Frankreich und Deutschland, in denen die horizontale Schichtabfolge relativ ungestört erhalten ist. Mit den ersten geologischen Karten der Alpen, die bald darauf erscheinen, wurde allerdings klar, dass diese "universalen" Abfolgen nicht ohne weiters auf Gebirge angewendet werden konnten.
Generell wurde für die Alpen ein symmetrischer Aufbau angenommen - die äußeren südlichen und nördlichen Zonen bilden mesozoische Kalksedimente die auf dem Urkristallin, das entlang des Alpenhauptkamms zutage tritt, aufliegen.
Diese Sichtweise wurde wesentlich von der damals herrschenden geologischen Lehre des Neptunismus bestimmt. Nach dem Neptunismus bildeten sich alle heute erkennbaren Gesteinsschichten am Grunde eines gewaltigen Urozeans. Berge entstehen wenn diese Schichten durch lokale magmatische Aktivität wie eine Blase aufgeworfen und emporgehoben werden. Dabei werden die zunächst horizontalen Schichten aufgestellt und umschließen wie eine Zwiebel den Kern aus erkalteten magmatischen Gesteinen.

Abb.1. Geologische Karte und Profil der Pyrenäen, nach Humboldts "Kosmos" (1845-1862). Humboldt war Anhänger des Neptunismus und erklärt Gebirgsbildung auch dementsprechend.  Der Granit (rosa Bereiche) drang vor Urzeiten in die Sedimente ein (blau und gelb) und verstellte dabei die Sedimentschichten (unteres Profil). Die Beobachtung, dass der Granit nicht entlang der gesamten Achse des Gebirgszug gefunden werden kann (wie es nach dem Modell notwendig gewesen wäre), erklärt Humboldt mit asymmetrischer Erosion der Pyrenäen (unteres Profil).

Allerdings wird mit einer Detailkartierung rasch klar, dass diese symmetrische Gesteinsabfolge der Alpen wesentlich komplexer, ja sogar in Teilen widersprüchlich zu den geltenden Standardprofilen, ist. Eine der ersten geologischen Karten die die Ostalpen in größeren Detail aufnimmt ist die "Geognostische Karte von Tirol" (1849), die den Alpenhauptkamm im Wesentlichen in drei Großeinheiten aufteilt: "Gruppe des Glimmerschiefers" (nach modernen geologischen Einteilung metamorphe siliziklastische Sedimente), "Gruppe der Thonglimmerschiefer" (metamorphe karbonatische Sedimente) und "Serpentinit" (Amphibolite & Grünschiefer).
In 1851 vergleicht der Schweizer Geologe Studer in einem Buch "Geologie der Schweiz" diese Gesteine mit Gesteinen die im Bereich des Brennerpasses und in den Schweizer Kantonen Bünden und Wallis gefunden werden. Er erkennt Gemeinsamkeiten und vermutet dass diese Gesteinschichten im Untergrund zusammenhängen und nur lokal in Form von "Fenstern" zutage treten. Österreichische Geologen bestätigen diese Vermutung und erkennen in einem dieser Fenster einen zentraler Kern aus Gneis, der von einer Abfolge von metamorphen Sediment bedeckt wird, diese Abfolge taucht wiederum an einer scharfen Grenze unter metamorphen Schiefergestein ab. Die klassische Unterteilung des so genannten Tauernfensters wird vorgeschlagen: Zentralgneis mit Schieferhülle, die von dem älteren metamorphen Altkristallin umgeben sind. Wie diese "unmögliche" Schichtabfolge (Altkristallin überlagert jüngere Sedimente) allerdings entstand bleibt weiter rätselhaft.

Fig.2. Blick in das Tauernfenster, ein tektonisches Fenster wo jüngere Gneise (Zentralgneis im Hintergrund & metamorphen siliziklastische & karbonatischen Bündner-Schiefer im Vordergrund) von älteren Gneisen & Glimmerschiefern des Altkristallin "überlagert" werden.

In den Jahren 1871-72 studiert der Geologe Niedzwiedyki das Gebiet und schlägt in seiner Abhandlung "Theilen der Zillerthaler Alpen und der Tauern" vor, dass es sich um eine normale Sedimentabfolge handeln muss. Auch spätere Geologen vermuten stets eine sedimentäre Abfolge, möglicherweise etwas verfaltet und deshalb einen falschen Eindruck erweckend - allerdings keine großräumigen Verfaltungen oder Verschiebungen.
Seltsamerweise ist es ein Geologe der niemals in den Alpen arbeitete, der die Alpengeologie revolutionieren wird. 1884 interpretiert der junge französische Geologe Marcel Bertrand die "Schwyzer" Doppelfalte von Glarus (die Geologen lange Zeit Kopfzerbrechen verursacht hatte) völlig neu - nicht eine Abfolge von großen Falten, sondern einzelne Schollen, besser noch Decken, die  um bis zu 40 Kilometer gegeneinander verschoben wurden! Leider stößt seine Abhandlung auf wenig Interesse und wird rasch vergessen.

Abb.3. Die Überschiebung von Glarus in einer Zeichnung des Geologen H.C. Escher (1812). Dunkle, Permische Gesteine liegen auf jüngeren Jura- und Kreidezeitlichen Sedimenten - eine Unmöglichkeit für damalige Geologen.
Abb.4. Die "Doppelfalte von Glarus" in der Interpretation des Schweizer Geologen Albert Heim (von einer Ausgabe der "Guide Géologique" von 1894) sollte die seltsame Startigraphie von Glarus erklären, setzte allerdings eine sehr komplexe Geometrie und Verformungsgeschichte der Alpen voraus.

Erst die Arbeiten des Schweizer Geologen Hans Schardt, die zwischen 1893 und 1898 publiziert werden, machen das Konzept von tektonischen Decken populär und erst 1904 wendet der französische Geologe Pierre-Marie Termier das Konzept auf die Gesteinsabfolge der Alpen an.
Das Konzept von tektonischen Einheiten ersetzt rasch (zu) komplexe geologische Profile mit allen möglichen Verfaltungen und erklärte auch die "tektonischen Fenster" - wieso Gesteine in den Ostalpen auch in den Westalpen gefunden werden konnten, wieso ältere Gesteine auf jüngere liegen können und wieso die klassische Gesteinsabfolge, die von Vertretern des Neptunismus angenommen wird, in den Alpen und in dieser Form nicht existieren kann.

Literatur:

DalPIAZ, G.V. (2001): History of tectonic interpretations of the Alps. Journal of Geodynamics 32: 99-114
FRANKS, S. & TRÜMPY, R. (2005): The Sixth International Geological Congress: Zürich, 1894. Episodes, Vol. 28(3): 187 - 192
LAMMERER, B. (1975): Geologische Wanderungen in den westlichen Zillertaler Alpen. Alpenvereins-Jahrbuch 1975 Bd. 100: 13-25
PFIFFNER, O.A. (2009).Geologie der Alpen.Haupt Verlag Bern-Stuttgart-Wien: 359
ROST, H. (1989): Zur Geologie, Petrographie und Tektonik des Pennins, der Matreier Zone und des Altkristallins zwischen Pürschbach und Grossklausenbach (Durreck-Gruppe, Ahrntal, Südtirol). Unveröffentlichte Diplomarbeit am institut für Geologie und Mineralogie Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg: 192

3. März 2012

Lug, Betrug und jede Menge falscher Spuren

Versteinerte Kopulierenden Frösche?
Es ist eine der klassischen Anekdoten aus der Frühzeit der Paläontologie: Im Jahre 1725 wurden dem Professor der Medizin und Leibarzt des Bischofs von Würzburg, Dr. Johann Bartholomäus Adam Beringer (1667-1738), einige seltsame Stein zugespielt. Auf den Steinen waren klar erkennbar die Umrisse von Tieren, Pflanzen und unbekannten Wesen zu sehen - Beringer wusste sofort dass dies eine besondere Entdeckung war - ein Wunder dar Natur, vielleicht gar eine göttlichen Schöpfung. Er versprach den drei Burschen, die die ersten Steine angeblich gefunden hatten, für jeden weiteren Stein eine reiche Belohnung. Schon nach kurzer Zeit hatte er eine große Sammlung angelegt, die auch entsprechend der Bedeutung publiziert werden sollte. Im Jahre 1726 veröffentlichte Beringer eine Monographie mit 14 Kapiteln und 21 Druckplatten, die die 204 schönsten Stücke abbildeten - die "Lithographia Wirceburgensis". Doch dann wurde der Schwindel aufgedeckt - zwei Kollegen von Beringer,  der Mathematiker Jean Ignace Roderique (1697-1756) und der Theologe Johann Georg von Eckhardt (1664-1730), hatten die Figuren von den drei jungen Burschen in die Steine ritzen lassen und anschließend Beringer untergejubelt. Dieser hatte die plumpen Fälschungen nicht erkannte und als echte Fossilien angesehen! Ein Gelehrter mehr dem Aberglauben zugetan als der reinen Wissenschaft!
Beringer verbrennt daraufhin verbittert all die Exemplare der "Lithographia Wirceburgensis" und zerstört die Druckplatten, Roderique und Eckhardt mussten die Stadt verlassen aufgrund ihres unehrenhaften Betrugversuchs.

Fast jeder Student der Geowissenschaften kennt diese oder eine ähnliche Version des Mythos der "Würzburger Lügensteine" - mehr als 400 Lesesteine aus Muschelkalk die mit höchst seltsamen Figuren verziert sind. Allerdings deutet vieles darauf hin, dass diese Geschichte selbst eine Fälschung aus dem 19. Jahrhundert ist.

Es ist nicht ganz klar wenn Beringer die ersten Steine erhalten hat. Er selbst behauptet dass dies im Mai 1725 geschehen ist bzw. er die Steine sogar selbst entdeckt hat! Auf jeden Fall beauftragte er zwischen Juni und November desselben Jahres die Gebrüder Hehn, den Burschen Kerl Zänger und eine vierte Person, die unbekannt geblieben ist, mit der "Ausgrabung" von weiteren Steinen.
Beringer beginnt sofort mit der Beschreibung der ersten Fundstücke, bestellt die Druckplatten für die geplante Monographie und publizierte bereits im Oktober 1725 eine kurze Stellungsnahme zu den Funden (bzw. der Tradition der Zeit folgend eine Vorbericht zum geplanten Buch). Bereits jetzt werden die Funde angezweifelt, allerdings präsentierte Beringer den Skeptikern verschiedene Berichte von Augenzeugen, die bei der Ausgrabung der Steine auf dem Hügel nahe Würzburg sogar dabei gewesen sein wollen. Von Eckhardt und später Roderique sollen die angebliche Fundstelle begutachten. Sie finden zwar keine Steine, allerdings auch keine Beweiße eines Betrugs oder Täuschung. 


Um den weiteren Verlauf der Geschichte besser zu verstehen, muss man sich den damaligen aktuellsten Wissenstand zu Fossilien vergegenwärtigen. Die Entstehung von Fossilien wird generell noch als Wunder angesehen. Erst 1669 hatte der Däne Niels Stensen eine Abhandlung publiziert in der zumindest nachgewiesen wird dass Fossilien anscheinend versteinerte Lebewesen sind (wobei der Prozess der Versteinerung unklar bleibt). Daraufhin deuten einige wenige Gelehrte die Fossilien als Reste der Lebewesen die durch die Sündflut verschüttet wurden - allerdings bleiben magisch-metaphysische Erklärungen, wie eine formgebende (göttliche?) Kraft im inneren der Erde, hoch im Kurs. 

Beringer behauptet niemals dass die Würzburger Lügensteine echte Fossilien - also versteinerte Lebewesen gemäß der Sündflut-Theorie - sind, sondern deutet die Meißelspuren (!) auf einigen von Ihnen als direkte Spuren des Eingreifens einer göttlichen Macht. Damit bleibt er sogar im Bereich der damaligen "klassischen Wissenschaft" und wird keineswegs als weltfremder Spinner abgetan.

Im Frühjahr 1726 erhält Beringer tatsächlich einige Steine die von Roderique stammen. Beringer wird ertappt, allerdings führt er eine gewieften Schachzug aus: diese Steine mögen Fälschungen sein, allerdings sei damit nicht bewiesen dass die vorherigen Steine (die lange vor der Ankunft von Roderique in Würzburg aufgetaucht waren) ebenfalls Täuschungen sein müssen. Er ist selbstbewusst genug um sogar einen Prozess gegen die "Verleumdungen" anzustreben (der erst nach dem Druck der "Lithographia Wirceburgensis" enden wird). Die vier Burschen werden befragt, geben allerdings nur zu die Steine an Beringer verkauft zu haben - die Herkunft der Steine bleibt im Dunkeln. Allerdings erlebt Beringer eine kleine Niederlage: zwar wurde nicht nachgewiesen dass die Steine gefälscht wurden, allerdings wird diskutiert dass ähnliche Steine - im Gegensatz zu Beringers Versicherungen - von Menschen hergestellt werden können.
Die "Lithographia Wirceburgensis" wird gedruckt und ist ein großer Erfolg, allerdings nicht der absolute Gottesbeweis wie von Beringer erhofft.

Alle beteiligten Personen litten nicht besonders unter dem so genannten Skandal. Roderique verlässt Würzburg freiwillig im Jahre 1730 und arbeitet als hochangesehener Verleger, Eckhart´s Rolle beschränkte sich auf das Begutachten der angeblichen Fundstelle und Beringer rührt die Druckplatten seiner Monographie nicht mal an - im Jahre 1767 erscheint sogar eine zweite Auflage.
Es konnte nie eindeutig geklärt werden wer die Lügensteine des Jahres 1725 hergestellt hatte. Die Ausführung ist professionell und die gewählten Motive waren damals wohl nur gelehrten Personen geläufig (vor allem die Meerstiere). Es gab kein Hinweis dass gegen Beringer intrigiert wurde - allerdings bleibt anzumerken dass eine der involvierten Personen tatsächlich ein Motiv gehabt hätte. 

Beringers Gottesbeweis durch die eingeritzten Figurensteine war seinem Gönner, dem Bischof von Würzburg gewidmet - eine große Ehre wenn es denn wahr gewesen wäre. Beringer hatte die Mittel, die Kontakte, die Möglichkeit und bestimmt das Wissen um einen solchen großangelegten Fälschungsfall auf die Beine zu stellen. Es spricht einiges dafür, dass der größte Trick von Beringer nicht auf seine, sondern auf unsere Kosten gegangen ist…

Literatur

BEHRINGER, J.B.A. & HUEBER, G.L. (1726): Litographiae Wirceburgensis, ducentis lapidum figuratorum, a potiori insectiformium, prodigiosis imaginibus exornatae specimen. Würzburg 1726. Scan by www.BioLib.de
NIEBUHR, B. & GEYER, G. (2005): Beringers Lügensteine: 493 Corpora Delicti zwischen Dichtung und Wahrheit. Beringeria Sonderheft 5, Teil II: 188
NIEBUHR, B. (2006): Wer hat hier gelogen? Die Würzburger Lügenstein-Affaire. Fossilien 1/2006: 15-19