28. Mai 2012

Etwas Eis und reichlich Fisch

Zusammenfassung des ursprünglichen Artikels von Scientific American
"The discovery of the ruins of ice: The birth of glacier research"

Louis Rodolphe Agassiz wurde am 28. Mai 1807 geboren und ist heute vor allem als (Fische-) Paläontologe und Eiszeit-Advokat bekannt. 
Wie so oft in der Geschichte großer geologischer Ideen, war Agassiz nicht der Erste der Vorschlug, dass in der geologischen Vergangenheit Gletscher große Teile der damals bewohnten Welt (sprich Nordamerika und Europa) bedeckt hatten. Der Dänische Mineraloge und Bergsteiger Jens Esmark (1763-1839) publizierte bereits im Jahre 1826 einen Artikel, in dem er eine größere Ausdehnung der rezenten Gletscher vorschlug. Der schottische Geologe James Hutton (1763-1797) und sein guter Freund John Playfair (1748-1819) spekulierten über eine großflächige Vereisung  der nördlichen Hemisphere - tatsächlich wurden in der Universität Edinburgh diese glazialen Theorien sogar währen den Vorlesungen für Studenten diskutiert. 
Allerdings ist es tatsächlich Agassiz (und seinen guten Ruf in der damaligen Gelehrtenwelt) zu verdanken, dass die Eiszeittheorie nach einem Vortrag im Jahre 1834, und Publikation in 1840, rasch an Bedeutung und Akzeptanz gewann. Allerdings nicht ohne kleinere Rückschläge, in einem Brief an Agassiz schreibt Alexander von Humboldt am 2. Dezember 1837:

"Ich fürchte, Sie arbeiten zu viel, und (soll ich so offen sein ?) ich denke Sie breiten Ihren Intellekt über zu viele Subjekte gleichzeitig aus. Ich schlage vor, sie konzentrieren sich auf ihr großartiges Werk über fossile Fische…[]… Kein Eis mehr, nicht zuviel Stachelhäuter, und reichlich Fisch…"

Abb.1. Das Zeitalter des Diluviums, oder Eiszeit, Abbildung aus UNGER, F. (1851): Ideal Views of the Primitive World, in its Geological and Palaeontological Phases. Taylor and Francis, London

18. Mai 2012

Der Ausbruch des St. Helens

  Zusammenfassung des ursprünglichen Artikels von Scientific American
"May 18, 1980: The eruption of Mount St. Helens"

Am frühen Morgen des 18. Mai 1980 brach der Vulkan St. Helens im amerikanischen Bundesstaat Washington mit einer Wucht aus, die die Erwartungen der Geologen weit übertraf. Ein gewaltiger Erdrutsch an der nördlichen Flanke legte die Magmakammer frei, es kam zunächst zu Dampfexplosionen und dann zu einem gewaltigen pyroklastischen Strom, der über 600 Quadratkilometer Wald niederwalzte.

Die vulkanische Natur des St. Helens war seit 1835 bekannt, als eine kleinere Eruption beobachtet wurde. Allerdings existieren viel ältere indianische Legenden, die den St. Helens als "Feuerberg" beschreiben und berichten, dass er entstand, als sich zwei mächtige Krieger eine Schlacht aus Feuer und Asche lieferten.
St. Helens und andere Vulkane des Cascade Range wurden daher als aktiv erkannt, aber nicht als sonderlich gefährlich eingestuft, da es seit der europäischen Besiedelung nie zu wirklich starken oder gefährlichen Eruptionen gekommen war. Die Untersuchung  der vulkanischen Ablagerungen ließen allerdings gewaltige Ausbrüche erkennen, gekennzeichnet durch Schlammlawinen, pyroklastischen Strömen und Aschewolken.

57 Personen verloren am 18. Mai ihr Leben, darunter auch der Geologe David Johnston, der von seiner Beobachtungsstation als erster die Eruption ankündigte - über Radio funkte er noch "Vancouver, Vancouver, this is it!

12. Mai 2012

Heißer als die Hölle: Vulkanische Glutströme

  Zusammenfassung des ursprünglichen Artikels von Scientific American
"Geology Scene Investigation: Death by Volcanic Fire"

Am 8. Mai 1902 brach der "erloschene" Vulkan Pelèe auf der Karibikinsel Martinique aus. Von über 30.000 Einwohnern der nahen Stadt Saint-Pierre überlebten nur drei. Darunter ein kleines Mädchen, das in einer Höhle nahe am Strand Schutz gefunden hatte, und nach seiner Rettung einen erstaunlichen Augenzeugenbericht ablieferte:

"Bevor ich [an der Höhle] ankam, schaute ich zurück und die ganze Flanke des Berges, die zur Stadt zeigte, schien sich zu öffnen und eine kochende Masse ergoss sich über die schreienden Menschen. Ich wurde von Steinen und der Asche die auf mein Boot fielen verbrannt, aber schließlich schaffte ich es in die Höhle..."

Die ersten Forscher die einige Wochen später die Ruinen der Stadt untersuchten waren überrascht vom Ausmaß der Zerstörung. Beinahe jedes Haus war bis auf die Grundmauern verschwunden, die Körper der Toten waren teilweise schrecklich entstellt, mit den Gedärmen aus den Körpern gedrückt, Bei anderen verbrannten Leichen dagegen waren teilweise die Kleider noch intakt. Die Suche nach Ablagerungen eines Lavastroms, die vermutete Hauptursache der Zerstörung, blieb erfolglos. In den Ruinen fand man allerdings geschmolzene Gegenstände aus Glas (Schmelztemperatur ungefähr 700°C) - Kupferleitungen und Telegraphendrähte waren dagegen intakt geblieben (Schmelztemperatur von Kupfer ist ungefähr 1.100 C), daraus schloss man das was auch immer geschehen war, die Temperaturen in der zerstörten Stadt um die 700-1000°C gelegen hatten (*). Am 9 Juli desselben Jahres beobachteten zwei Geologen, die von den Ruinen von St. Pierre aus in See gestochen waren, eine bis dahin unbekannte vulkanische Eruptionsphase des Mount Pelée:

"Die Wolke hatte eine runde Form und erinnerte an eine Masse von Protuberanzen, die sich mit schrecklicher Geschwindigkeit und Energie ausdehnten. Sie reichte bis zur See und bewegte sich in unserer Richtung, kochend und mit jedem Augenblick sich verändernd in Form. Sie breitete sich nicht seitlich aus, oder stieg hoch in die Atmosphäre auf, aber bewegte sich auf die See als eine turbulente Masse…"

Die unheimliche Wolke erreichte nicht das Boot, sondern stieg im letzten Moment auf, schwebte über das Boot und löste sich dann langsam auf. Allerdings fielen Steine und Asche auf die beiden erschrockenen Männer - es handelte sich also nicht um eine gewöhnliche Wolke aus Gas und Dampf, sondern um ein Strom aus festen Partikel, der der Schwerkraft folgend an den Hängen des Vulkans zunächst an Geschwindigkeit gewann, und sich danach auf ebene oder flach geneigte Flächen ausbreitete - ähnlich wie eine Lawine. Diese Beobachtung erklärte was mit St. Pierre geschehen war. Vom Gipfel des Vulkans Pelèe hatte sich eine solche Lawinen aus heißen Gasen, Gesteinsfragmente und Asche gelöst. Die Masse folgte zunächst einem Tal, das genau in Richtung Pierre zeigte, überwand eine kleine Anhöhe vor der Stadt und fegte mit verheerender Gewalt über die Stadt hinweg - bis weit in die See hinaus, wo geankerte Schiffe in Brand gesetzt worden waren.


Es war der französische Geologe Alfred Lacroix (1863-1948) der dieses Phänomen genauer untersuchte, dokumentierte und schließlich auch eine Namen dafür vorschlug - "nueé ardente" bzw. Glutlawine.
Lacroix vermutet allerdings, dass die Schwerkraft allein nicht ausreichte um die Wucht der Glutlawine zu erklären. Er schlug vor, dass ein Stöpsel aus zähflüssiger Lava den Krater des Vulkans so lange verstopft hatte, bis der zunehmende Druck eine seitliche Schwachstelle gesprengt hatte - und so einen tödlichen Fluss in Richtung St. Pierre geschleudert hatte.

Abb.1. Original-Photographien von Glutströmen des Mount Pelée, aufgenommen im Dezember 1902, von LACROIX, A. (1904) : La Montagne Pelée et ses éruptions. Masson et Cie, Paris.

Glutlawinen, oder pyroklastische Ströme, sind besondere Eruptionsphänomene die eng an den Chemismus der Lava und den Vulkantyp gebunden sind. Saure Vulkangesteine sind zäh genug um Vulkanschlote zu verstopfen bzw. Vulkandome oder Kuppen zu bilden, die bei Sprengung oder Kollaps zu einer Gerölllawine führen können. Die Geröllmasse folgt der Schwerkraft - allerdings herrschen in einem Partikelstrom andere physikalische Bedingungen als z.B. in einer Flüssigkeit - die Ausbreitungsart von Gerölllawinen ist daher noch nicht vollständig verstanden. Teilweise erfolgt die Bewegung auf einem Kissen aus Luft oder Wasserdampf (vor allem wenn der heiße pyroklastische Strom das Meer erreicht), ein Großteil der Bewegung wird allerdings auch durch das Gegenseitige Anstoßen der Trümmer und Partikel untereinander erzeugt - es ist sogar möglich das erzeugte Infraschall-Wellen in der Lage sind die Trümmer zu "tragen".
Wie auch immer, im Gegensatz zu einer Flüssigkeit sind solche Trümmerströme in der Lage auch Steigungen zu erklimmen.
Der Vulkan hatte schon Wochen vor seinem Ausbruch eine verstärkte Aktivität mit Erdbeben und Ascherregen gezeigt. De Einwohner von St. Pierre fühlten sich aber sicher, da zwischen Ihnen und dem Vulkan ein Bergrücken lag. Ein Lavastrom oder Schlammstrom hätte auch tatsächlich umgelenkt werden können, die Glutlawine allerdings überwand das Hindernis ohne größere Probleme.

Nachdem die physikalischen Ursachen der Katastrophe mehr oder weniger klar waren, stellte sich die Frage wie Glutlawinen ihre Opfer töten, auch um zu verstehen ob man sich in Zukunft vor einem solchen Phänomen schützen könnte. Eine Andere, viel ältere, aber ähnliche Katastrophe, konnte einige Antworten auf diese Frage geben. 1748 wurden die ersten Reste von Leichnamen in den verschütteten Ruinen der römischen Stadt von Pompeji entdeckt. In Pompeji können zwei Arten von Ablagerungen unterschieden werden: mächtige feinkörnige Ascheschichten und dünne, klastenreiche Ablagerungen von Glutströmen.

Abb.2. Ablagerungen eines pyroklastischen Stromes - in diesem Fall aus den Südalpen und mit permischen Alter. Charakteristisch sind die großen Schwankungen in der Korngröße (mit feinkörniger Matrix), die vulkanische Petrographie der Klasten und der thermische Reaktionssaum der größeren Klasten, verursacht durch die hohen Temperaturen innerhalb der Glutlawine.

 In der Stadt wurden über 300 Skelette oder Abdrücke von Leichen in den Ascheschichten entdeckt, die Menschen erstickten anscheinend oder wurden von den Gebäuden, die unter der Last der Asche zusammenbrachen, erschlagen. 650 Leichen wurden in unmittelbarer Nähe der Ablagerungen der pyroklastischen Ströme gefunden - vermutlich starben sie daher an den Effekten von eben diesen. Dort wo die vulkanischen Ablagerungen direkt die Knochen umschließen, war die Hitze anscheinend so hoch (um die 600°C), dass das Fleisch der Menschen einfach verdampfte. In Bereichen des Glutstromes mit geringeren Temperaturen blieben die Körper erhalten. Die berühmten Gipsabgüsse der Hohlräume, die übrig bleiben, nachdem die eingeschlossenen Körper zerfallen sind, zeigen Menschen die mitten in der Bewegung "erstarrten".  Die "geringere" Hitze des Glutstromes in diesen Bereichen (300-250°C) verursachte augenblickliche Krämpfe und die Lungen füllten sich mit heißer Asche und Gase - die Opfer "verkochten".
Diese Beobachtungen lassen vermuten, dass die Temperaturen, gefolgt von der Bewegungsenergie und Asche/giftige Gase, die tödlichsten Eigenschaften eines pyrpoklastischen Stromes sind -  noch bis zu 10 km entfernt vom Gipfel des Vesuv waren die Temperaturen noch tödlich.

Auch die Opfer von St. Pierre wurden anscheinend durch zwei Eigenschaften des Glutstroms getötet - die schiere Wucht der bis zu 160km/h schnellen Masse tötete die Glücklichen auf der Stelle. Die gewaltige Hitze verbrannte die anderen bei lebendigem Leibe. Menschen die sich in Bereichen mit hohen Temperaturen aufhielten, zerplatzten regelrecht. Andere inhalierten die "kühleren" Gase und wurden lebendig von Innen nach außen gekocht, wobei die Kleider intakt blieben.

(*) In der Offenbarung des Johannes wird die Hölle als schrecklicher Ort, gefüllt mit geschmolzenem Schwefel, beschrieben. Schwefel verdampft bei 450°C – die meisten vulkanischen Phänomene spielen sich bei noch viel höheren Temperaturen ab.