30. Mai 2014

Hexenzauber und die Kleine Eiszeit

Der Begriff "Kleine Eiszeit" wurde um 1939 vom amerikanischen Glaziologen Francois Matthes (1875-1949)  benutzt um eine  Vorstoßphase  der nordamerikanischen Gletscher ab dem 13. Jahrhundert zu bezeichnen. Zeitgleich sind Gletschervorstöße auch in Skandinavien und den europäischen Alpen überliefert. Der Begriff wurde vom schwedischen Wirtschaftshistoriker Gustaf Utterström (1911-1985) später aufgegriffen, um eine Zeit, die in Mitteleuropa von politischen Unruhen, Völkerwanderungen Hungersnöten und Ausbreitung von Seuchen gekennzeichnet war, in einen klimatischen Zusammenhang zu stellen.
 



Die kleine Eiszeit wurde klimatisch in Europa durch eine generelle phasenweise Abkühlung gekennzeichnet. Die Ursache dieser Klimaverschlechterung ist unklar, sie fällt mit einer Phase verminderter Sonnenaktivität zusammen, ist aber auch von gesteigerten vulkanischen Tätigkeit (mit Höhepunkten um 1250-1500 und 1550-1700) gekennzeichnet.
 
Ab 1601 stößt in den Alpen das Mer de Glace vor und zerstört zwei Dörfer. Der deutsche Autor Martin Zeiller (1589-1661) beschreibt sehr plastisch das Vorrücken des Grindelwald-Gletschers:
 
"Es ist nicht weit davon der Orthen ein Capellen zu St. Petronel gewesen, dahin man vor alten Zeiten gewallfaret: Welchen Orth dieses Bergs Eygenschafft zum Wachsthumb seythero bedecked hat. Gestalt dann die Landleuthe dort herumb observiren und bezeugen, dass dieser Berg dergestalt wachse und seinen Grund oder Erden vor sich her schiebe, dass wo zuvor eine schöne Matten oder Wiesen gewesen, dieselbe davon vergehe und zum rauen wüsten Berg werde;…"
 
Nicht nur in Chroniken, auch in den Mythen der Alpen haben diese Gletschervorstöße ihre Spuren hinterlassen. Die Sage, das Gletscher Frevler und Übermütige unter sich begraben, ist weit verbreitet in den Alpen und lässt sich bis ins Jahr 1700 zurückverfolgen.
 
Besonders wurden die Menschen aber durch eine Häufung von Extremwetterereignissen getroffen. Überflutungen, Muren, Sturm, Hagel und Frost konnten Haus und Hof zerstören, schlimmer noch die Ernte eines gesamten Jahres vernichten, was wiederum zu Teuerung,  Hungersnöte und Seuchen führte.
In dieser schwierigen Zeit beobachtet auch das Aufkommen einer neuen Art des Aberglaubens - im 14. zum 15. Jahrhundert kommt die Idee verstärkt auf, dass Hexen "Hagel machen" und den Kühen die "Milch stehlen". 
In einer Chronik die in der Bayerischen Staatsbibliothek aufbewahrt wird, heißt es wörtlich:
 
"1445 In diesem Jahr war ein sehr großer Hagel und Wind als vor nie gewesen, thät großen Schaden, ihro wegen fing man allhier etliche Weiber, welche den Hagel und Wind gemacht haben sollen, die man auch mit Urthel und Recht verbrennt."
 
Abb.1. Zwei Hexen bei der Zubereitung eines Hexensuds zur Erzeugung von Hagel und Unwetter, Holzschnitt aus "De laniis et phitonicis mulieribus" (1489), ein Pamphlet verfasst vom deutschen Jurist Ulrich Molitor (1442-1508).
 
"Anno 1626 den 27. May ist der Weinwachs im Frankenland im Stift Bamberg und Würzburg aller erfroren wie auch das liebe Korn, das allbereitt verblüett... das bei Manns Gedenken nit geschehen und eine große Theuerung verursacht... Hierauf ein großes Flehen und Bitten unter dem gemeinen Pöffel, warum man solange zusehe, das allbereit die Zauberer und Unholden die Früchten sogar verderben."
Chronik der Familie Langhans, Zeil (Franken)


Schadenszauber was schon in der Antike ein beliebter Anklagepunkt für angebliche Zauberer, allerdings sieht man jetzt darin eine regelrechte Teufels-Verschwörung. Der Historiker Wolfgang Behringer argumentiert, dass die Hexenverfolgung im Mittelalter  indirekt vom Klima beeinflusst wurde. Das gehäufte Vorkommen von Unwettern und Kälteeinbrüche demoralisierte den gemeinen Pöbel, der entschlossenes Handeln von der lokalen Obrigkeit verlangte - eine Antwort war die vermuteten Verursacher der Unwetter - die Hexen - einzufangen und abzuurteilen.

Wenn ihre Teufelskunst und Zauberei nicht an den Tag gekommen wäre, hätten sie vier Jahre kein Wein und Getreide wachsen lassen, wodurch viele Menschen und Vieh an Hunger gestorben wären und ein Mensch den anderen hätte fressen müssen. Gott, der Herr, hat dies nicht geschehen lassen wollen und an den Tag gebracht, so daß über 1.200 sind verbrannt worden und werden noch täglich viele verhaftet und verbrannt. Auch haben sie gestanden, da sie giftige Nebel gemacht haben, so daß viele Menschen und Tiere haben sterben müssen. Durch ihre Teufelskunst haben sie den Menschen auch große Krankheiten gebracht und Apfel, Birnen und das Gras auf den Wiesen verdorben....[]… (Zwei Bürgermeister) haben bekannt, daß sie viel schreckliche Wetter und große Wunder gemacht, so daß viele Häuser und Gebäude eingeworfen und viele Bäume im Wald und Feld aus der Erde gerissen wurden... 
Es sind auch etliche Mädchen von sieben, acht, neun und zehn Jahren unter diesen Zauberinnen gewesen. Zwanzig sind hingerichtet und verbrannt worden...[]... Besonders verwunderlich ist, daß solche kleinen Kinder Donner und Blitz zuwege bringen können.“
Aus den Chroniken der Hochstifte Bamberg und Würzburg, 1626-30
 
In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts beginnt die Inquisition Gericht zu halten, zuerst in Südfrankreich, Norditalien und der südwestlichen Schweiz - wobei die Inquisition am Anfang eine Antwort der Kirche auf die Ketzerbewegungen der Katharer und Waldenser war.  Im Laufe des 15. Jahrhunderts breiten sich die Prozesse aus, ab 1430 kommt es zu einem Übergang von der Anklage der allgemeinen Zauberei zu der der Hexerei. Vor allem in den Gebieten der heutigen Schweiz, Österreich, Polen und Deutschland kommt es zu zahlreichen Prozessen von Seiten der weltlichen Gerichte mit anschließenden Todesurteilen. 
Die Anklage des Schadenszaubers und Manipulation des Wetters spielt dabei eine wesentliche Rolle, auch weil es sich um ein "konkretes Verbrechen" handelte, im Unterschied zu anderen Hexenverbrechen, wie Besuch eines Hexensabbat oder Teufelsbuhlschaft, die schwer nachzuweisen waren und außerdem selbst von den meisten Zeitzeugen mehr als Ammenmärchen denn als Tatsachen angesehen wurden.

Teilweise antworteten die Angeklagten selbst mit Galgenhumor auf die ihnen vorgeworfenen Missetaten. Im Jahre 1595 wurde in der Brixner Gegend der Bauer Christoph Gostner der Wettermacherei angeklagt, darauf versuchte er das Gericht zu überzeugen, dass er nur in bester Absicht handelte und die ankommenden Unwetter ablenkte…
 

"Zurück nach hinten getrieben auf das höchste Gebirge, wo kein Hahn kräht, kein Heu gemäht wird, wo kein Ochs liegt und keine Blume blüht, dass es niemanden einen Schaden antue, und wie er glaubte, wurde der Schauer so gleich zu bloßem Wasser"
 

Auf die Gegenfrage, wieso er dann ein kürzlich stattgefundens verheerende Unwetter nicht verhindert hätte, antwortete der Schelm, dass er es wohl verschlafen habe und "betrunken gewesen [sei] dieselbige Nacht".
 

Die Hexenverfolgung nahm während einer milderen Klimaphase zwischen 1520 - 1560 ab, um anschließend zwischen 1560 und 1660 einen Höhepunkt zu erreichen. Die kleine Eiszeit erreicht ihren Höhepunkt um ungefähr 1680 - 1730, in den Alpen kam es zwischen 1550-1560 und 1580-1600 zu kalten Frühjahren und Auflassung von Almen.
 
Abb.2. Die Europäische Hexenverfolgung erfolgte zwischen 1430-1780, mit Höhepunkten zwischen 1560-1580, 1600-1618 und 1626-1630.

Zu vereinzelten Hexenprozesse kommt es noch zwischen 1715-1722 im Königreich Bayern, im Schweizer Kanton Zug (1737-1738) und in Würtenberg und Würzburg (1746-1749). Die letzte deutsche Hexe wurde in 1775 hingerichtet, die letzte europäische Hexe in 1782. 
Die kleine Eiszeit endet dann auch um 1850.
 
Natürlich spielen bei der Hexenverfolgung soziale Faktoren eine wesentlichere Rolle und das Klima war eher ein Schrittmacher als der Auslöser. In Gebieten mit einer zentralistischen Regierung und einheitlichen Gesetzgebung waren Hexenprozesse zum Beispiel weitaus seltener, da der Gesetzgeber überzeugende und daher schwer zu beschaffende Beweise der Hexerei verlangte. Im ländlichen Raum waren die zuständigen Behörden außerdem eher gewillt den Willen des Volkes nach einem Sündenbock in Menschengestalt nachzugeben. Politische und soziale Krisen und Kriegszeiten (so fällt der Höhepunkt der Hexenprozesse in Deutschland mit dem Höhepunkt des Dreißigjährige Krieg von 1618 bis 1648 zusammen) - spielen auch eine Rolle in der Bereitschaft die Hexerei bis zur letzten Konsequenz - der Hinrichtung - nachzugehen, so waren teilweise den Behörden die Hexenprozesse zu teuer und ihr - vermuteter - Nutzen zu gering um überhaupt eine systematische Hexenverfolgung zu initiieren. Ab Mitte des 17. Jahrhunderts verlieren die Hexenprozesse schließlich mehr und mehr an "ideologischem Hintergrund" bis zur vollständigen Einstellung der Verfahren.

Literatur:

BEHRINGER, W. (1998): Hexen: Glaube, Verfolgung, Vermarktung. Beck´sche Reihe Nr. 2082: 115

BEHRINGER, W. (1999): Climatic Change and Witch-hunting: the Impact of the Little Ice Age on Mentalities. Climatic Change, Vol.1(1): 335-351
BEHRINGER, W.; LEHMANN, H. & PFISTER, C. (eds.) (2005): Kulturelle Konsequenzen der "Kleinen Eiszeit" - Cultural consequences of the "Little Ice Age".
Veröffentlichungen des Max-Planck-Institus für Geschichte, Band 212 : 521
BEHRINGER, W. (2007): Kulturgeschichte des Klimas - Von der Eiszeit bis zur globalen Erwärmung. C.H. Beck-Verlag, München: 352
BÜNTGEN, U. et al. (2011): 2500 Years of European Climate Variability and Human Susceptibility. Science Vol. 331: 578-582
FAGAN, B.M. (2000): The Little Ice Age: How Climate Made History, 1300-1850. Basic Books, New-York: 246
GLASER, R. (2008) : Klimageschichte Mitteleuropas - 1200 Jahre Wetter, Klima, Katastrophen. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 2. Auflage: 264

JÄGER, G. (2008): Fernerluft und Kaaswasser - Hartes Leben auf den Tiroler Almen. Universitätsverlag Wagner, Innsbruck: 240

18. Mai 2014

Mount St. Helens - Der Vulkan lebt

Der Ausbruch des Mount St. Helens am 18. Mai 1980 war durch eine überrasschende Varietät von vulkanischen Phänomenen begleitet - eine Stein- und Glutlawine überdeckte mehr als 60 Quadratkilomter und verbrannte fünfzehn. Mehr als 550 Quadratkilomter von dichten Douglas-Tannen Wald wurden durch die Druckwelle der Eruption niedergemäht und die äusseren Zonen durch heißen Gase, Schlammströme und Aschefall beeinflusst.
 
Vor der Eruption wurden in den Lebensräumen rund um den Krater 286 Pflanzenarten gezählt, danach war nur noch eine graue Mondlandschaft übrig.
 
Die vulkanischen Ablagerungen wiesen völlig unterschiedliche geologische Eigenschaften als die vorherigen Böden auf - stark wasserdurchlässig mit einem sauren pH, schutzlos der gleissennden Sonne ausgesetzt - und doch, bereits ein Monat später wurden di ersten Pflanzen auf den Vulkanablagerungen entdeckt. 
Die Beobachtungen am St. Helens stellten einige Ansichten der klassischen Pflanzen-Sukzession, wie sie bei Besiedelung von Ödland erwartet wurde, in Frage: die theoretische langsame Abfolge von Pionierarten zu Arten einer Klimax-Gesellschaft fand so nicht statt. Zufällig eingebrachte Samen konnten sich rasch entwickeln. Anspruchsvollere Arten kamen so früher auf, anspruchslos Arten wie Moose spielten dagegen eine geringere Rolle. Arten verschiedener Pflanzengemeinschaften traten daher zusammen auf. 
Überlebende Individuen, Wurzeln und Samen in der Erde, und Überbleibsel der vorherigen Vegetation, wie die zahlreichen Baumstämme, spielten eine entscheidende Rolle, die Natur musste nicht komplett neu beginnen sondern konnte auf diese „legacies“ zurückgreifen. Um die 20 Pflanzenarten allein hatten in der verwüsteten Zone überlebt und von der weiteren, unbeeinflussten Umgebung wanderten schon bald weitere Pionierarten hinzu. So entwickelte sich die Vegetation in den Zonen in denen die Stämme liegen gelassen worden waren schneller und wies auch eine höhere Artenzusammensetzung auf. .



Literatur:
 
DALE, V.H. & ADAMS, W.M. (2003): Plant reestablishment 15 years after the debris avalanche at Mount St.Helens, Washington. The Science of the Total Environment 313: 101-113