21. Mai 2016

Der Einfluss von Klimawandel und Geologie auf das Kletterrisiko

Wo sich Italien mit Rätien verbindet,
berührt das steile Gebirge die Sterne und bietet sogar im Sommer
nur einen fruchtbaren Pfad. So mancher, als ob er die Gorgo gesehen,
ward tödlich gefroren durch Eis; andere wurden verschlungen
durch mächtige Massen von Schnee. Gar oft versinken die zerschellten Wägen
mit dem Zugvieh in den weiß schimmernden Abgrund.
Manchmal bringt der Berg plötzlich Verderben durch gleitendes Eis,
von warmen Wind gelöst verliert der Fels den Grund.

Claudius Claudianus (ca. 370-404 n. Chr.)

Die Alpen waren schon immer ein gefährlicher Ort wie diese historische Beschreibung zeigt, aber wie sieht die Zukunft aus, vor allem in Anbetracht der bereits stattfindenden Veränderungen von Klima und Landschaft?


Der Klimawandel trifft den Alpenraum besonders hart, hier war der Temperaturanstieg vom späten 19. Jahrhundert bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts um die  2 °C, doppelt so hoch wie im globalem Durchschnitt. Die höheren Temperaturen haben nicht nur Einfluss auf Pflanzen und Tiere, sondern auch auf Felsen und Berge - Gletscher ziehen sich zurück und der Permafrost schmilzt ab.

Abschmelzender Permafrost führt nicht nur dazu das der Eis-Kitt in Felsspalten verloren geht, sondern auch das Wasser eindringen kann und die Volumenänderung des Felsen durch Temperaturschwankungen verstärkt wird. 
Erhöhte Steinschlaggefahr  in den europäischen Alpen wurde mit dem Abschmelzen des Permafrosts in Zusammenhang gebracht. Allerdings ist es schwierig die derzeitige Steinschlagaktivität mit der Vergangenheit zu vergleichen, es gibt kaum Quellen dazu (wie zum beispiel alte Photos), und daher einen direkten Zusammenhang mit dem Temperaturanstieg in den letzten 150 Jahren herzustellen. Forscher haben nun auf ungewöhnliche Dokumente zurückgegriffen – historische Beschreibungen von Kletterrouten. 

Die ersten Kletterführer wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, mit dem Aufkommen des Alpinismus, veröffentlicht - zuerst in englischer, später auch deutscher Sprache und in immer größeren Zahlen. Viele Beschreibungen von Kletterrouten umfassen nicht nur die Lage, Art und Schwierigkeit einer Route, sondern auch mögliche objektive Gefahren, wie brüchiger Felsen oder Steinfall. Durch das Vergleichen wie sich diese Beschreibungen in verschiedene Ausgaben von Kletterführern über die Jahre hin verändert haben, kann die Steinschlaggefahr abgeschätzt werden. In den letzten 148 Jahren haben sich bei 19% der Kletterrouten im Eigergebiet die Gefahrenabschätzung geändert, zumeist wurde die Gefahr von plötzlichen Steinschlag als höher eingestuft oder der Fels als brüchiger bezeichnet (es gab allerdings auch positive Entwicklungen). Die Gefahr wurde besonders in den letzten Jahrzehnten als höher eingestuft.
 
 
Abb.1. Geologisches Profil der Schweizer Alpen nach Albert Heim (1919). Die Gipfel bestehen aus Karbonatgestein und anderen Meeresablagerungen, wie auch die berühmte Eiger-Nordwand. Rot: Autochthones Kristallin des Aarmassiv, Blau: Decken des Helvetikum und Penninikum.

Die Gefährlichkeit einer Route hängt einerseits von ihrer Lage ab, ob auf einem Grat, Felsturm oder Rinne gelegen, ihrer Exposition und der Geologie ab. Rinnen sind prinzipiell gefährdeter als Grate. Speziell Routen auf Süd-Südwest exponierte Flächen wurden seit 1980 als gefährdeter angesehen, Hinweis das Temperaturerhöhung auf sonnigen Flächen eine Rolle spielt.  Auch Routen in Granit und Amphibolit zeigen erhöhte rezente Steinschlagaktivität, auch wenn hier die Rolle des Klimawandels nicht ganz klar ist. 

Die Steinschlaganfälligkeit hängt von vielen Faktoren ab, wie Druckfestigkeit, Verwitterbarkeit, Kluftdichte, thermische Ausdehnung und Albedo des Gesteins.
 
Die Rolle der Gesteinsart auf Kletterrouten ist fast eine eigene Wissenschaft, da hier nicht nur das Wissen des Geologen, sondern auch die Erfahrung des Kletterers zählt.
In den Alpen können alle wichtigen Gesteinsarten gefunden werden, von metamorphe Gesteine in den Zentralalpen über magmatische Gesteine, wie beim Montblanc, Seealpen, Adamello, Rieserferner, zu den Sedimentgesteinen der Kalkalpen und Dolomiten. 

Sedimentgesteine umfassen Sandsteine und Karbonate, diese können mehr oder weniger verfestigt und zementiert sein. Für den Kletterer sind in den Alpen Kalk- und Dolomitgesteine von Interesse. Sehr anfällig für chemische Verwitterung, bilden diese Gesteine interessante Kletterrouten aus mit Rinnen, Löcher, Leisten und Rissen. Sie zerfallen meist zu kleineren Blöcken und die Schutthalden am Fuß der Felswand sind mühsam zu begehen. 

 
Magmatische Tiefengesteine wie Granit sind harte, massive und homogene Klettergesteine, bilden oft steile bis vertikale Felswände aus die einen guten Reibungswiederstand aufweisen. Allerdings sind solche Intrusivkörper meist eher eintönig und die Felswände eher wenig strukturiert. Granit bricht in große Blöcke oder Platten ab, die Blöcke sind gegen chemische Verwitterung sehr resistent und verwittern langsam, es kommt zur Bildung von schwer begehbaren Blockhalden.  Es ist auch mit einer erhöhten Steinschlaggefahr zu rechnen.

Metamorphe Gesteine dominieren in den Alpen und weisen, wenn  massiv, ähnliche Klettereigenschaften wie Magmatite auf. Amphibolite, vor allem aber Gneise sind ähnlich wie Granite gut zu klettern, Gneis-Gebirge sind beliebte für Gratkletterei. Schiefergestein bilden eher brüchige Abschnitte, da diese zwei Gesteinsarten oft ineinander übergehen bilden sich komplexe Gebirgslandschaften.

"Urgestein", damit werden oft magmatische und metamorphe Gesteine zusammengefasst, bilden oft Grate aus die durch hervorstehende Köpfel und Blöcke gekennzeichnet sind. Diese Grate sind oft zwar sicherer von der Steinschlag-Gefahr her aber schwieriger mittels Seile abzusichern (Absturz-Gefahr!).

Literatur:

TEMME, A.J.A.M. (2015): Using climber’s guidebooks to assess rock fall patterns over large spatial and decadal temporal scales: an example from the Swiss Alps. Geografiska Annaler: Series A, PhysicalGeography, 97: 793-807